Der Fischreiher galt als ein besonderes heiliges Tier im Alten Ägypten, vor allem in Heliopolis. Sein ägyptischer Name „Boinu“ bzw. Benu leitet sich vermutlich von „leuchten, aufgehen“ ab.
Fischreiher als Sonnenvogel
Die Fischreiher tauchten immer in großer Anzahl auf, wenn die Nilüberschwemmung einsetzte. Deshalb galt dieser Vogel mit seiner zyklischen Wiederkehr als Lebensspender und Erneuerer.
Auch mit der Sonne wurde im Alten Ägypten der Fischreiher verbunden. Denn mit dem Aufgehen der Sonne erhoben sich die Fischreiher und flogen in den Himmel. Deshalb nannte man ihn auch den Sonnenvogel. Dieses Bild des aufsteigenden Phönix in der Morgenröte taucht in vielen Mythen wieder auf. Er erscheint als Vogel, der sich aus dem Feuer der Selbstverbrennung erneuert und sich verjüngt emporschwingt.
Fischreiher als Phönix-Vogel?
Vermutlich ist im Alten Ägypten der Fischreiher (Ardea cinerea) und/oder der Purpurreiher (Ardea purpurea) der Vogel von Benu bzw. der Phönix-Vogel. Oft ist auch von einem Graureiher die Rede. Doch der Graureiher ist nur eine andere Bezeichnung für Fischreiher.
Durch seine Nähe zur Sonne brachte man den Reiher mit Re in Verbindung. Der Phönix bzw. Benu wurde damit zum Ba des Re. Er wurde aber auch eng mit Osiris verknüpft. Das lag an seiner Selbstverbrennung und damit an seiner Nähe zum Totenreich. Auch seine Wiedergeburt aus der Asche ließ ihn zu einer Erscheinungsform des Osiris, dem Herrn der Unterwelt, werden. Man fand im westlichen Ägypten Tierknochen von zwei Purpurreihern, deren Knochen verbrannt waren. Vielleicht ein kultisches Überbleibsel.
Reiher, Symbol für Transformation
Der Reiher stand im Alten Ägypten für Transformation. Insofern wollte sich auch ein Toter in einen Reiher verwandeln. Im Gewand eines Reihers war er wesentlich beweglicher. Dank dieser Gestalt konnte er sogar das Gefolge Gottes im Himmel erreichen und selbst daran teilnehmen. Der Tote wurde durch die Verwandlung in einen Reiher frei. Das ging aber nur, wenn er sich vor dem Totengericht erfolgreich gerechtfertigt hatte.
Reiherarten im Alten Ägypten
Man fand Mumien- und Tierknochenfunde von verschiedenen Reiherarten: Fischreiher bzw. Graureiher (Ardea cinerea), Purpurreiher (Ardea purpurea), Seidenreiher (Egretta garzetta), Nachtreiher (Nycticorax nycticorax), Zwergdommel (Ixobrychus minutus), Kuhreiher (Bubulcus ibis), Goliathreihern (Ardea goliath).
Der Benu-Reiher (bnw-Reiher) ist neben dem nwr-Reiher der wichtigste Reiher. Oft ist der bnw-Reiher ein Graureiher (= Fischreiher). Beim nwr-Reiher ist es schwer zu bestimmten, um welche Art es handeln könnte. Denn die grüne Färbung auf ägyptischen Darstellungen fehlt bei den Arten, die infrage kommen. Anhand der bildlichen Darstellungen konnten die verschiedenen Reiherarten oft nicht eindeutig den tatsächlichen Arten zugeordnet werden. Damals legte man vermutlich nicht sonderlich viel Wert auf eine realitätsgetreue Abbildung, sondern hatte eher ästhetische Ansprüche. Die Reiher wurden im Alten Ägypten kaum ornithologisch erläutert oder spezifiziert.
Reiher als Jagdhelfer
Beide, Reiher und Kraniche, gehören zur Ordnung der Schreitvögel. Reiherfleisch ist ungenießbar im Gegensatz zum Fleisch der Kraniche. Der Reiher wurde also nicht verzehrt. Doch er diente als Lockvogel bei der Jagd nach Vögeln. Es gibt mehrere Abbildungen, wo die Reiher am Bug eines Bootes oder in der Hand eines Jägers sitzen. Wenn sie dressiert und an Menschen gewöhnt waren, suggerierten sie anderen Vögeln Sicherheit und lockten sie dadurch an.
Quellen
- *Beitragsfoto von Harald Schmidt. Der Fischreiher (Graureiher).
- „Kopf eines Fischreihers.“ Bild von S. Hermann & F. Richter auf Pixabay.
- „Purpurreiher.“ Bild von Herbert Bieser auf Pixabay.
- „Seidenreiher.“ Bild von Hermann Traub auf Pixabay.
- „Nachtreiher.“ Bild von Anne and Saturnino Miranda auf Pixabay.
- „Kuhreiher.“ Bild von Robbie Ross auf Pixabay.
- Schindler von Wallenstein, Eleonore (2010) Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (pdf.) „Die Reiher im Alten Ägypten“ Ornithologische Betrachtungen und religionsgeschichtliche Bedeutung.
- Bonnet, Hans (2000), „Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte“, 3. unveränderte Auflage, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Hamburg, Seite 594 f. (Phönix).
- Wikipedia (zuletzt aktualisiert 2021, 23. Juli) „Benu“ (Stand: 19.11.21).
- Owusu, Heike (1998), „Symbole Ägyptens“, Schirner Verlag, Darmstadt, Seite 264 (Symboltier der Erneuerung: Phönixvogel Fischreiher).