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Das ägyptische Orakel

Das ägyptische Orakel ist ein Götterorakel, d. h., den göttlichen Willen zu erkennen und eine damit zusammenhängende Unterstützung in schwierigen Lebenslagen zu erbitten.

Die schriftlichen Quellen über die Praxis der Orakel im Alten Ägypten stammen vorwiegend aus einer Arbeitersiedlung südlich von Theben (namens Deir el-Medina). Dort lebten Arbeiter und Handwerker, die mit dem Bau von Felsgräbern, nahe dem Tal der Könige, beauftragt waren.

Ägyptische Götterorakel

Orakel hat es im Alten Ägypten schon immer gegeben. Doch in frühen Zeiten handelte es sich um einen Volksbrauch. Deshalb erfuhr man erst mehr über die Praxis, als das Orakel später im Neuen Reich politisch und juristisch bei Entscheidungsfragen eingesetzt wurde.

Das ägyptische Orakel war immer mit einer Frage bzw. Intention verknüpft, einen Rat von einem Gott zu erbitten. Die Initiative ging also vom Menschen aus, der um eine Antwort bittet. Ob die Antwort tatsächlich ernst genommen und in Handlung umgesetzt wurde, war wiederum eine Entscheidung des Fragenden. Man war sich also darüber bewusst, dass es von der eigenen Entscheidung abhängt, den Rat eines Orakels zu befolgen.

Im Alten Ägypten gab es zwei Möglichkeiten, ein Orakel zu bekommen:

  • durch eine öffentliche Befragung – im Rahmen einer Prozession,
  • durch eine private Befragung – per Brief, den ein Priester mit in den Tempel nahm, um den Gott zu befragen.

Ägyptische Orakel: Barken- bzw. Prozessionsorakel

Prozessionen zu Ehren einer Gottheit führten die Alten Ägypter schon im Alten Reich durch. Doch Prozessionen in Verbindung mit einem Orakel, dem sogenannten Prozessionsorakel, gab es erst später seit dem Neuen Reich. An religiösen Feiertagen führte man Prozessionen durch, sodass auch die Arbeiter teilnehmen konnten. Dabei wurde eine verschleierte Gottheit (bzw. das Kultbild der Gottheit) auf der Barke durch die Straßen getragen.

Ägyptische Orakel fanden auch während einer Prozession statt - Prozessionsbarke.
Prozessionsbarke, die von mehreren Priestern getragen wurde. Der Schrein (Naos) ist hier verschlossen.
Ägyptische Orakel: Prozessionsbarke wurde von Priestern getragen.
Die Prozessionsbarke tragen die Priester auf ihren Schultern.

Bei solchen Prozessionen konnte jeder Teilnehmende nacheinander sein Anliegen gegenüber der Gottheit vortragen. Es handelte sich also um Befragungen im öffentlichen Bereich. Ob das in schriftlicher oder mündlicher Form geschah, war freigestellt. Die schriftlichen Fragen wurden verlesen und die mündlichen Fragen vorgetragen. Es gab verschiedene Antwortmöglichkeiten, die man vorher auf Tonscherben (= Ostraka) oder auf Papyrusstreifen festhielt. Dem Gott einen Sachverhalt genau zu beschreiben, war extrem wichtig. Die Antwortmöglichkeiten formulierte man ebenfalls schriftlich und legte sie der Gottheit vor.

Die Antwort des Gottes war abhängig von der Bewegung des Kultbilds in seinem Schrein. Man deutete die Antwort durch die Bewegung der Götterbarke, die auf den Schultern der Priester getragen wurde. Sehr oft handelte es sich um Ja-Nein-Fragen. Eine Vorwärtsbewegung der Barke bedeutete „Ja“. Eine Rückwärtsbewegung hingegen „Nein“. Gab es mehrere Antwortmöglichkeiten, wählte man jene aus, in deren Richtung sich das Kultbild bewegte.

Aus der griechisch-römischen Zeit stammen Kultbilder mit internen Bohrungen, die man von außen nicht sah. Sie könnten den Priestern als Sprachrohre gedient haben, sodass die Teilnehmenden der Prozession tatsächlich den Eindruck bekamen, Gott würde zu ihnen sprechen. Dass es sprechende Götterorakel gab, ist jedoch eine Vermutung.

Ägyptische Orakel: Brief- bzw. Ticketorakel

Die Frage zum Orakel musste genau formuliert werden.
Die Frage zum Orakel musste genau formuliert werden, ebenso die möglichen Antwortoptionen.

Ab der Dritten Zwischenzeit bestand die Möglichkeit das Orakel im privaten Rahmen zu befragen. Stellvertretend begab sich ein Priester in den Tempel zur Gottheit, um sie im Namen des Bittstellers um Rat zu fragen. Auch hier war es wichtig, dass der Fall eindeutig beschrieben wurde. Denn bei dieser Form des Brief- oder Ticketorakels gab es eine zeitliche Verschiebung zwischen dem Vortragen der Frage und der Antwort des Gottes, das Orakel. Man hatte also nicht die Möglichkeit, beim Bittsteller noch einmal nachzufragen.

Bevor man die Gottheit zu einem Orakel befragte, holte man dazu deren Einwilligung ein. Denn keiner konnte davon ausgehen, dass die Gottheit zu einem bestimmten Anliegen befragt werden will. Diese Variante ist interessant, denn es könnte ja sein, dass die Frage falsch oder zu ungenau formuliert wurde. Vielleicht kann oder möchte die Gottheit daher keinen Rat geben. Wenn das Orakel keine Antwort auf die Frage der Einwilligung gab, konnte diese fehlende Reaktion bei Rechtsstreitigkeiten möglicherweise als Schuld gedeutet werden. Auf alle Fälle hatte der Verfasser des Brieforakels bei einer fehlenden Einwilligung der Gottheit, eine Strafzahlung zu leisten.

Gab der Gott seine Einwilligung, einen Rat zu geben, wurde aus vorgefertigten Antworten die richtige Antwort ausgelost. Das ist zumindest eine naheliegende Vermutung.

Das Brief- bzw. Ticketorakel löste in der griechisch-römischen Zeit das Barken- bzw. Prozessionsorakel ab.

Zu welchen Themen wurde das Orakel befragt?

Im Alten Ägypten fragte man das Orakel zu allen möglichen Themen. Die Fragen schrieb der Bittsteller entweder auf Tonscherben oder einem Papyrus. Vor allem das Götterorakel im privaten Bereich (Ticketorakel) war sehr beliebt. Denn man hat viele Gottesbriefe bzw. Orakelfragen gefunden. In der Regel sind es aber jene, auf die die Gottheit nicht antworten wollte. Auch die Antwortoptionen, sofern es mehrere gab, wurden auf Tonscherben und später auf Papyri festgehalten. Jene, die nicht ausgelost oder ausgewählt wurden, fand man ebenfalls in den Tempeln. Das liegt nahe, denn jene Antworten, die ausgelost wurden, gab man den Fragenden mit.

Ägyptische Orakel: auch Imhotep wurde befragt
Das ägyptische Orakel wurde zu allen Themen des täglichen Lebens befragt, in privaten und öffentlichen Angelegenheiten, bei Rechtsprechungen und politischen Fragen.

Ägyptische Orakel in privaten Angelegenheiten

Man stelle Fragen zur Rechtsprechung, zum Beispiel bei Erbschaftsstreits, als mehrere Geschwister ein bebautes Grundstück jeweils für sich beanspruchen wollten. Je nach Anzahl der Geschwister verfasste man verschiedene Antwortoptionen und wählte eine davon aus, wo der Name derjenigen Person stand, die das Grundstück erhalten soll.

Die alten Ägypter wollte auch den Rat des Gottes bei sehr persönlichen Lebensentscheidungen wissen. Zum Beispiel fragte ein Mann das ägyptische Orakel, welche von zwei Frauen er heiraten soll. Beide Antwortoptionen formulierte er ebenfalls auf einem Papyrus. Er legte aber noch eine dritte Antwortmöglichkeit fest, nämlich, wenn ihm der Gott rät, keine der beiden Frauen zu heiraten. In diesem Fall sollte ihm sein Brief einfach zurückgegeben werden, in welchem er sein Anliegen formulierte.

Vor dem Antritt einer längeren Reise fragte man gerne das Götterorakel, ob alles gut verläuft. Ebenso wollte man vor der Geburt eines Kindes wissen, ob es lebendig auf die Welt kommt, denn die Kindersterblichkeit im Alten Ägypten war hoch. Der Alte Ägypter fragte das Götterorakel auch nach seiner Gesundheit und bat es um das Fernhalten von bösartigen Fügungen und drohendem Unheil. Ein Kranker fragte das Götterorakel, ob er wieder gesund wird.

Ägyptische Orakel in öffentlichen Angelegenheiten

Dabei handelte es sich um Fragen zu öffentlichen und politischen Angelegenheiten. Man holte sich zu bestimmten politischen Handlungen die Zustimmung des Gottes, um die Zustimmung der Öffentlichkeit zu bekommen. Zum Beispiel holte sich die Königin Hatschepsut die Zustimmung der Götter, um ihren Herrschaftsanspruch durchzusetzen, zumindest bis der Thronerbe ein angemessenes Alter erreicht hat.

Einige weitere Beispiele, um ein Götterorakel einzuholen:

  • Vergabe von hohen Ämtern,
  • Zuweisung von (öffentlichen) Ländereien,
  • Begnadigung von rebellischen Untertanen,
  • bei taktischen Fragen zur Außenpolitik,
  • Aufklärung von kriminellen Handlungen und Überführung des Täters,
  • vor Feldzügen bzw. bei militärischen Fragen.

Dass das ägyptische Orakel im öffentlichen Bereich auch zu Propagandazwecken eingesetzt wurde, um sich der öffentlichen Meinung zu vergewissern, liegt in der Natur der Sache.

Man befragte das ägyptische Orakel nicht nur nach zukünftigen Ereignissen, sondern – z. B. bei Schuldfragen – auch nach vergangenen Ereignissen, um etwas aufzuklären. Im juristischen Bereich angewendet, waren die Götterorakel rechtsgültig.

Mit Sicherheit instrumentalisierten die Priester das Götterorakel für ihre eigenen Zwecke. Inwieweit jedoch die Priester das ägyptische Orakel für ihre Zwecke manipulierten, lässt sich heute nicht feststellen. Es war zwar im Alten Ägypten streng verboten, ein Orakel zu sabotieren, doch das war sehr schwer nachzuweisen.

Der Umgang mit Orakelsprüchen

Die Orakelsprüche musste man im Alten Ägypten nicht deuten, wie man es von anderen Orakeln her kennt. Das ägyptische Orakel war normalerweise eindeutig – eine Interpretation war also nicht nötig. Dafür sorgten mit Sicherheit die verschiedenen Antwortmöglichkeiten, die man ebenfalls vorher mit der Frage an das Orakel formulierte. Man nutzte bei mehreren Antworten die Möglichkeit zu losen. Bei einfachen Ja-Nein-Antworten bestimmte man einfach, welches Zeichen ein „Ja“ und welches ein „Nein“ bedeutet.

Die Antwort eines Gottes war nicht notwendig bindend. Bei Schuldfragen war sie zwar gewichtig, doch man vergewisserte sich meistens durch zusätzliche Fragen. Dazu wandelte man die ursprüngliche Frage etwas ab und befragte den Gott mehrmals. Kam es durch ein Götterorakel zu einem Urteilsspruch, konnte der Betroffene durchaus Widerspruch einlegen.

Wenn der Verdacht auf Manipulation bestand, konnte man auch mehrere ägyptische Orakel konsultieren. Es gibt mehrere Beispiele, bei welchen ein Prozessverlierer gegen ein Urteil vorging, das mithilfe eines Gottesspruchs gefällt wurde. Manchmal hatte er Erfolg und der Prozess wurde wiederaufgenommen.

Amun mit hoher Federkrone
Amun war nur einer der Götter, welcher um Rat gefragt wurde.

Das Götterorakel war eine beliebte Anlaufstelle im Alten Ägypten, um einen persönlichen Rat zu bekommen. Die Aussage einer Gottheit wurde als eine weisende Prophezeiung verstanden, die sich wahrscheinlich bewahrheitet. Doch das musste nicht der Fall sein. Bei der Auskunft eines Gottes ging es also nicht um eine verbindliche Voraussage. Daher musste sich der Alte Ägypter immer noch selbst entscheiden, ob er sich nach der Weisung richten will oder lieber nicht.

Welcher Gott wurde befragt?

Welchen Gott man befragte, hing davon ab, wo man sich lokal aufhielt bzw. wo man wohnte. Viele antike Quellen über die Götterorakel stammen aus der Arbeitersiedlung (Deir el-Medina) im Süden von Theben. Dort wurde Amun angerufen, denn er war dort Hauptgott. Andernorts war es der Schöpfergott Ptah oder vergöttlichte Personen wie Imhotep.

Um einen Rat zu bekommen, musste nicht notwendig ein Gott befragt werden. Es gab wohl in Deir el-Medina eine weise Frau, die der alte Ägypter aufsuchte und nach Rat fragte. Meist taten die Dorfbewohner dies persönlich und mündlich, da die meisten von ihnen weder lesen noch schreiben konnten.

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Quellen

  • Wikipedia (zuletzt aktualisiert: 2021, 19. September) „Götterorakel im Alten Ägypten“ (Stand: 02.02.22).
  • Bonnet, Hans (2000), „Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte“, 3. unveränderte Auflage, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Hamburg, Seite 560 bis 564 (Orakel).
  • Helck, Wolfgang und Otto, Eberhard (1999), „Kleines Lexikon der Ägyptologie“, 4. Auflage, MZ-Verlagsdruckerei GmbH, Memmingen, Seite 212 f. (Orakel).