Im Alten Ägypten wurde großer Wert auf die Reinigung gelegt. Das galt insbesondere für alle kultischen Handlungen. Das Ziel war Reinheit, sowohl für den Ort, zum Beispiel eines Tempels, als auch für eine Gerätschaft, zum Beispiel eines Stabes. Vor allem aber musste sich jeder reinigen, der den Tempel eines Gottes betreten wollte.
Reinheit im Alten Ägypten
Das ägyptische Wort web bedeutet „Reiner“. Es handelt sich um den allgemeinsten Ausdruck für „Priester„. Niemand, der unrein ist, darf die heiligen Räume betreten und Rituale vollziehen. Die Reinigungshandlung selbst ist schon eine rituelle Handlung. „Wer in den Tempel eintritt, sei rein.“1 Das ist über den Eingang von Tempeln zu lesen. Die gleiche Regel gilt für die Stätten der Toten. Nur jene, die sich reinigen, erhalten Zutritt.
Der Zustand der Reinheit ist vergänglich. Deshalb muss die Reinheit immer wieder hergestellt werden. Die Reinheit ist zweierlei:
- Bedingung, um zu einem Ort zu gelangen bzw. kultische Handlungen zu vollziehen,
- Ziel, um zum Beispiel einen Kultgegenstand oder ein Götterbild in einen Zustand der Reinheit zu versetzen.
Denn nur, wenn ein Götterbild rein ist, wird ein Gott bereit sein, sich dort niederzulassen. Auch ein Toter muss rein sein, um im Jenseits, bei den Göttern leben zu können.
Was bedeutet Reinheit?
In erster Linie bedeutete Reinheit im Alten Ägypten Sauberkeit des Körpers und der Kleidung, die man trug.
Die strengeren Vorschriften für die Reinheit betrafen die Priester. Dazu gehörten:
- das Entfernen der Haare, einschließlich einer Kopfrasur,
- die Bekleidung aus Leinen und
- die Beschneidung bei männlichen Priestern.
Reinheit zeigte sich aber auch im Handeln. Man mied alle Handlungen, die einer Gottheit widerstrebt. Das konnten Vorschriften zur Enthaltsamkeit sein, z. B. das Verbot von bestimmten Speisen oder das Töten von bestimmten Tieren. Auch wer Schuld auf sich geladen hatte, galt als unrein.
Magische Praktiken dienten dazu, die Reinheit wieder herzustellen. Man führte reinigende Handlungen an heiligen Orten durch und sprach die Bekenntnisse der Reinheit. Auf diese magischen Praktiken vertrauten die Alten Ägypter. Es scheint, dass diese magischen Praktiken den ethischen Reinheitsgedanken dominierten. Doch sie verdrängten ihn nicht, denn der gläubige Ägypter achtete darauf, auch den Geboten eines Gottes Folge zu leisten.
Durchführen der Reinigung
Der Kult im Alten Ägypten legt sehr großen Wert auf die Reinigung. Deshalb wird jede kultische Handlung durch Reinigungszeremonien eröffnet und begleitet. Da in erster Linie der Körper sauber sein muss, steht im Mittelpunkt ein Bad. Man reinigt im Alten Ägypten den Körper durch das Übergießen mit Wasser. Für die körperliche Reinigung wurde gerne Natron hergenommen, sowohl als Zusatz für das Wasser, als auch zum Kauen für die Reinigung des Mundes. Daran schlossen sich reinigende Handlungen des Räucherns an. Meist folgte dann das Ankleiden und Anlegen von Schmuck.
Diese rituelle Durchführung einer Reinigung klingt nach einer ganz normalen morgendlichen Toilette, was sie im Kern auch ist. Sie wurde immer dann durchgeführt, wenn der König vor die Götter treten wollte. Abgebildet wird das Bad des Königs (Pharao) meistens nicht. Während des Bades war der König nicht nackt, sondern mit einem Schurz bekleidet. Nacktheit empfand der Alte Ägypter als unschicklich. Seine feierliche Amtskleidung (Ornat) legte der König nach dem Bad an und reinigte sich anschließend noch einmal die Hände. Denn die Reinigung der Finger, die das Heilige berühren, war im Alten Ägypten sehr wichtig.
Ähnlich werden sich wohl auch die Priester gereinigt haben, bevor sie ihren Dienst im Tempel antraten. Auch sie wurden mit Wasser übergossen. Nach einer bildlichen Darstellung übernahm das Übergießen ein Ministrant, während der Priester in einem flachen Becken stand. Auch die Kultgegenstände wurden regelmäßig gereinigt, indem man sie mit Wasser übergoss und Weihrauch räucherte.
Symbolische Bedeutung der Reinigung
Die Reinigung im Alten Ägypten geht sehr viel tiefer, als „nur“ den Körper und die Kleidung zu säubern. Das zeigen auch die Orte, wo die Reinigung stattfand. Das Morgenhaus ist ein Ort der Reinigung, der sich im Vorhof befand oder in der Vorhalle eingebaut war. Beide Orte befanden sich jeweils vor dem Eingang zum eigentlichen Tempelhaus. Hier wurden die Priester und der König gereinigt, in einem Grade, der sie befähigte, das Gotteshaus zu betreten. Das bedeutete auch ein Freiwerden von allen bösen Mächten und schlechten Einflüssen dämonischer Art.
Doch die Reinigung im Alten Ägypten ging noch tiefer. Der König (Pharao) selber ist von göttlicher Art. Er wurde ja von den Göttern eingesetzt. Das heißt, die Götter selber vollziehen die Reinigung des Königs. Deshalb wurde die faktische Reinigung stellvertretend von zwei Priestern mit Göttermasken durchgeführt. Doch alleine dadurch gewinnt das Bad eine sehr viel tiefere Bedeutung. Das Wasser wird von den Göttern berührt und dadurch zu einem Träger göttlicher Kräfte. „Ich reinige dich mit diesem Wasser allen Lebens und Heils, aller Gesundheit und aller Freude.“2 Symbole unterstreichen die tiefergehende Bedeutung der Reinigung. Zum Beispiel wird manchmal dem Reinigungsgefäß die Form eines Lebenszeichens gegeben.
Mit der Reinigung im Alten Ägypten empfängt der König (Pharao) die göttliche Kraft, die göttliche Fülle und die göttliche Berufung immer wieder aufs Neue. Durch das anschließende Einkleiden mit dem königlichen Ornat wird sein Amt immer wieder auf Neue bestätigt, denn auch vor seiner Krönung wurde er mit Wasser übergossen und mit dem Ornat bekleidet. Bilder über die Reinigung und Krönung des Königs ähneln sich dermaßen, dass oft gar nicht mehr klar ist, was von beiden dargestellt werden soll.
Mythos des Sonnenbades
Das Bad des Königs korrespondiert mit dem Bad des Sonnengottes Re. Denn auch Re reinigt sich immer, bevor er seine Tagesfahrt auf der Sonnenbarke antritt. Der altägyptische Himmel ist ein Ozean, wo Re sein Sonnenbad nimmt. In vielen Formeln wird der Ausdruck „gleichwie Re“ verwendet. Der Kult von On sagt, dass der König in der gleichen Flut wie der Sonnengott Re badet. Ob hier mit der Neugeburt der Sonne auch die Neugeburt des Königs symbolisiert werden soll, weiß man nicht sicher.
Sicher ist, dass dieses Gleichnis der Reinigung des Sonnengottes Re im Totenkult seine Wurzeln hat.
Reinigung im Totenkult
Auch der Tote muss sich reinigen, bevor er zu den Göttern geht. In der Regel geschieht das vor dem Eingang ins Jenseits. Viele Pyramidentexte sprechen von diesem Bad, und auch in den Gräbern selbst sind Bilder von Reinigungsszenen zu sehen. Vereinzelt findet das Bad im Jenseits statt. Meistens jedoch werden im Alten Ägypten die Zeremonien der Reinigung vor der Beisetzung vorgenommen. Dabei geht es um mehr als eine Reinigung. Die Reinigung ist hier eher Voraussetzung für die Belebung des Toten. Denn er soll im Jenseits weiterleben können. Das wurde durch Lebenszeichen ausgedrückt, die unter den Bildern von Toten gemalt wurden.
Der Ausfluss des Toten wird als Wasser bezeichnet. Es wird also mit den Lebenssäften gleichgesetzt, die den Körper am Leben halten. Deshalb wird dem Toten das Wasser neu zugeführt, damit er belebt wird. Sowohl die Mumifizierung des Toten als auch das Mundöffnungsritual ist von Reinigungshandlungen begleitet, welche auf das rituelle Bad zurückgehen, auch wenn sie verkürzt wurden, in einer Form der rituellen Darbietung von Wasser, zum Beispiel durch Benetzen bzw. Besprenkeln.
Reinigung der Priester, Laien und Soldaten
Jeder, der in die Vorräume des Tempels gehen wollte, musste sich reinigen. Auch die Soldaten sollten sich im Fluss reinigen, saubere Kleider anziehen und sich mit dem Wasser von den Altären einer Gottheit benetzen. Nicht umsonst gab es vor den Tempeln Wasserbecken.
Kultische Reinigungen, zum Beispiel für Priester umfassten:
- Waschung und Räucherung,
- Bekleidung und Salbung,
- Kauen von Natron.
Quellen und Einzelnachweise
- Beitragsbild: Wassertropfen, Pixabay.
- Reinigen durch Übergießen mit Wasser, Pixabay.
- Räuchergefäß, Pixabay.
- Wassertropfen, Pixabay.
- Sonnenspiegelung, Pixabay.
1 Bonnet, Hans (2000), „Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte“, 3. unveränderte Auflage, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Hamburg, Seite 632.
2 Bonnet, Hans (2000), „Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte“, 3. unveränderte Auflage, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Hamburg, Seite 634.
Bonnet, Hans (2000), „Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte“, 3. unveränderte Auflage, Nikol Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG Hamburg, Seite 631 ff. (Reinheit) und 633 bis 637 (Reinigung).